27.07.2020

Alle Jahre wieder

Vorschularbeit in den Einrichtungen des Vereins
„Kinder sind unsere Zukunft“ e.V. | Lahntal | Münchhausen

„Alle Jahre wieder“, so lautet ein bekanntes Weihnachtslied. Und alle Jahre wieder findet in der Kindertagesstätte „Villa Kunterbunt“ in Sterzhausen während der Adventszeit für die Vorschulkinder das Projekt Theater statt. Theaterspielen gehört für alle Kindertagesstätten des Vereins „Kinder sind unsere Zukunft“ e.V. | Lahntal | Münchhausen zur Vorschularbeit dazu. In manchen Einrichtungen wird das eingeübte Theaterstück im Zusammenhang mit dem Frühlings- oder Sommerfest aufgeführt, manchmal findet die Vorstellung im kleinen Rahmen zum Ende der Vorschulwoche statt. In Sterzhausen ist es dagegen eine beliebte Tradition geworden, das Theaterprojekt mit einem Krippenspiel zu verbinden.

Das macht den fünf- bis sechsjährigen Kindern nicht nur Spaß, sondern ermöglicht ihnen auch, viele neue Erfahrungen in Bezug auf sich selbst zu sammeln. Im darstellenden Spiel werden vor allem Phantasie sowie kreatives Handeln gefördert. Im Verlauf von fünf Tagen wird mit den Kindern das Theaterstück zur Weihnachtszeit eingeübt und in der Vorweihnachtswoche den Vorschuleltern und allen Kindergartenkindern vorgeführt.

Bevor es aber zur Aufführung kommen kann, steht eine Menge Arbeit an – sowohl für die Kinder als auch für die Erzieher/innen. Zunächst einmal müssen Hemmungen abgebaut werden. Kinder lieben es im Allgemeinen, in verschiedene Rollen zu schlüpfen und sich zu verkleiden. Doch plötzlich läuft das, was sonst im Freispiel stattfindet, nach festen Regeln und einer vorgegebenen Ordnung statt. Auf einmal wird das Spiel in den Focus der Aufmerksamkeit gerückt. Während sich Kinder im Freispiel unbeobachtet fühlen, sind sie beim Theaterspielen Blicken ausgesetzt, die sie verunsichern können. Nicht selten fällt es Kindern daher zunächst schwer, aus sich herauszugehen. Dann heißt es, sich selbst zu überwinden und den Mut aufzubringen, gezielt mit Stimme, Gestik und Mimik auf sich aufmerksam zu machen. Gelingt dies und können die Mädchen und Jungen ihre Hemmungen abbauen, erfahren sie mehr Selbstbewusstsein, und ihre Persönlichkeitsentwicklung wird gestärkt.

Dabei werden die Ausdrucksmöglichkeiten und die Selbstwahrnehmung der Kinder kreativ erweitert. Sie erfahren, wie sie körperlich, sprachlich und mimisch Empfindungen darstellen können. Außerdem wird die Fähigkeit zum Einfühlen in andere Menschen (Empathie) gesteigert, da die Kinder sich bewusst damit auseinandersetzen, wie es beispielsweise aussieht, wenn jemand traurig, wütend oder fröhlich ist.

Auch Sprachförderung nimmt einen großen Stellenwert ein. Beim verbalen Spiel, dem Umgang mit der Sprache, erfahren die Mädchen und Jungen die Wirkungen von Tonfall, Lautstärke, Artikulation, Betonung, Sprechgeschwindigkeit und Sprechpausen. Außerdem wird über das reine Textaufsagen hinaus gesungen und erzählt. Die Vorschüler erfahren etwas über die Welt, wie sie damals zur Römerzeit in der Antike, also im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung, gewesen ist. Dann wird auch schon mal gefachsimpelt, wie denn früher die Menschen ohne Auto und Flugzeug von A nach B gekommen sind.

Für viele ist es außerdem das erste Mal, einen Satz oder einen kleinen Text auswendig zu lernen, den sie aufsagen sollen. Zudem müssen sie sich merken, wann ihre Einsätze sind. Das erfordert viel Konzentration, Ausdauer, Aufmerksamkeit und Geduld – alles Kompetenzen, die zukünftig auch in der Schule erwartet werden.

Einige Kinder werden auch emotional auf die Probe gestellt, wenn sie lernen müssen, sich zurückzunehmen und abzuwarten bis sie dran sind. Vor allem denen, die im alltäglichen Kindergartenalltag sonst „den Ton angeben“, fällt es dann schwer, dass die volle Aufmerksamkeit nicht nur auf sie gerichtet ist. Umgekehrt müssen die zurückhaltenden und schüchternen Kinder aushalten lernen, dass sie für einige Zeit im Mittelpunkt des Interesses stehen. Es kostet sie Überwindung, in einer Gruppe laut und langsam zu sprechen.

Diese Herausforderungen meistern die Vorschüler jedoch im Laufe der Zeit, weil sie ein bestimmtes, gemeinsames Ziel vor Augen haben – die Theateraufführung am Ende der Probenwoche. Dabei lernen sie, gemeinsam auf ein Ziel hinzuarbeiten und sich im gesamten Spielgeschehen mit ihrer Rolle einzuordnen. Theaterspiel erfordert wie kein anderes Spiel in einer gemeinsamen Aktion innerhalb einer Gruppe ein soziales Verhalten, das teilweise erst erfahren und erlernt werden muss. Es ist eine Gruppenleistung, ein Zusammenspiel der Kinder. Dadurch wird das Gruppengefühl gefördert und gestärkt.

Dieses Gemeinschaftsgefühl wächst außerdem durch den gemeinsamen Kulissenbau. Im Prinzip ganz nebenbei schulen die Mädchen und Jungen beim Basteln und Bemalen der Kulissen ihre Auge-Hand-Koordination, die so wichtig für das zukünftige Schreiben lernen ist.

Am Ende der Woche steigt dann förmlich die Spannung. Die Kinder bringen ihre Kostüme mit, und das erste Spiel in den Verkleidungen ist geprägt von Stolz und großer Vorfreude. Hier und da ist den Kindern die Anspannung anzumerken, aber der Spaß überwiegt.

Wenn dann der Bewegungsraum zur großen Bühne wird, das Licht nur noch dämmrig leuchtet, klassische Musik zur Untermalung läuft und die Eltern gespannt auf den Stühlen Platz nehmen, dann sieht man strahlende Augen und Kinder, die stolz und konzentriert in ihre Rollen schlüpfen. Ein Gedicht läutet das Theaterspiel ein, und alle Kinder sind mit Spannung und großer Aufmerksamkeit dabei. Die Zuschauer sind stolze Eltern, die gerührt und erstaunt über ihre eigenen Kinder sind. Erneut leuchten die Augen der Vorschüler vor Vorfreude, wenn sie am darauffolgenden Tag auch allen Freunden aus der Tagestätte ihr Theaterspiel zeigen dürfen. Kräftiger Applaus und einen professionelle Verbeugung beenden diese sehr intensive Vorschulwoche.