„Weniger fragen“ – stattdessen Wahrnehmen, Benennen, Bestätigen

Puzzeln, Zählen, sich alleine anziehen oder beim Tischdecken helfen – das sind alles Fähigkeiten von Kindern, die klar sichtbar sind. Doch neben diesen Basiskompetenzen wie mathematische Grundkenntnisse oder sprachliche Fertigkeiten sollen bereits im Kindergarten die emotionalen und sozialen Kompetenzen von Kindern gestärkt werden. So schreibt es der Hessische Bildungs- und Erziehungsplan (BEP) vor, nach dem die fünf Kindertagesstätten und drei Krippen des Vereins „Kinder sind unsere Zukunft“ e.V. | Lahntal | Münchhausen (KsuZ) arbeiten.
Doch gerade diese Kompetenzen sind schwer zu greifen, ihre Bedeutung Eltern oftmals schwierig zu verdeutlichen. Gerade für einen erfolgreichen Übergang vom Kindergarten in die Grundschule spielen sie eine große Rolle. Aus diesem Grund haben die Erzieher des Vereins während ihres Konzepttags im November an einer Fortbildung zum Thema teilgenommen. Sylvia Friedrich und Inge Werning, Multiplikatorinnen des Hessischen Kultusministeriums, schulten die Erzieher zu Modul 11 des BEP – „Vom Ich zum Wir“.
Die Fortbildungsmodule des BEP sind ab 2020 Pflicht für alle Tagesstätten. Der Verein gehört im Landkreis Marburg-Biedenkopf zu den ersten Einrichtungen, die sich mit den Fortbildungstagen erneut qualifizieren. Ab 2020 müssen 25 Prozent des Personals diese Qualifizierung vorweisen. Wird nicht genügend qualifiziertes Personal nachgewiesen, entfallen die Fördergelder für die Kinder. Der Verein KsuZ ermöglicht die Fortbildung allen Mitarbeitern.
Friedrich und Werning gaben ihnen einen Einblick über die emotionale Entwicklung von Kindern bereits ab dem ersten Lebensmonat sowie über den Aufbau der sozialen Kompetenz ab dem zweiten Lebensjahr. Durch die Unterstützung von Eltern und Erzieher sollen die Kinder im Laufe ihrer Entwicklung bis zum Schuleintritt im Bereich der Emotionalität und sozialen Beziehung zahlreiche Kernkompetenzen erlangen. Dazu gehören etwa das Verhalten in Konfliktsituationen, Ausdauer beim Problemlösen und Emotionskontrolle. Wichtige Grundvoraussetzung hierfür ist es, dass Kinder sich ihrer eigenen Gefühle bewusst sind und diese auch benennen können. Nur dann ist es ihnen möglich, sich in andere hinein zu versetzen, ihre eigenen Wünsche, Bedürfnisse und Meinungen zu vertreten, aber auch zurückstellen zu können.„Diese Basiskompetenzen stehen nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen an erster Stelle noch vor dem Wissenserwerb“, hoben die Multiplikatorinnen hervor. Sie nannten ein einfaches Beispiel aus dem Grundschul-Alltag. „Wie soll sich das Kind auf eine Aufgabe im Unterricht konzentrieren können, wenn es noch mit einem ungelösten Konflikt vom Pausenhof beschäftigt ist?“
Um Lernen zu ermöglichen, sei es außerdem wichtig, dass sich drei psychische Grundbedürfnisse die Waage halten: Eingebundenheit, Autonomie-Erleben und Kompetenz-Erleben. Demnach müsse sich ein Kind in einer Gemeinschaft eingebunden und angenommen fühlen, darüber hinaus das Gefühl haben, mitbestimmt handeln zu können und positive Erlebnisse haben, damit es den Eindruck gewinnt, etwas Sinnvolles bewirken zu können. Bei sogenannten Sorgenkindern solle genau hingeschaut werden, welches Grundbedürfnis vielleicht zu kurz kommt.
Friedrich und Werning stellten den Erziehern außerdem das „Marte Meo“-Konzept als eine pädagogische Methode zur Entwicklungsunterstützung vor. In Partnerübungen probierten die Erzieher entweder in der Rolle einer pädagogischen Fachkraft oder in der eines Kindes aus, die sozial-emotionalen Kompetenzen von Kindern noch einmal auf ganz andere Weise zu stärken. „Weniger fragen“ hieß die Devise, stattdessen die Initiative des Kindes wahrnehmen und benennen, das Kind darin bestätigen und ihm folgen. In Anlehnung an diese Übung besprachen die Erzieher in sieben Gruppen, die sich aus Fachkräften unterschiedlicher Einrichtungen zusammensetzten, Fallbeispiele. Anhand der vorgestellten Methode listeten sie Ideen auf, wie „Sorgenkinder“ in ihren sozial-emotionalen Kompetenzen unterstützt werden können.
Die praktische Umsetzung dieser Ideen ist ein Arbeitsauftrag der Multiplikatorinnen bis zum nächsten Konzeptionstag im Frühjahr, denn die Fortbildung im Modul 11 setzt sich aus drei Terminen zusammen. Die Erfahrungen rund um die individuelle Unterstützung für ein Kind und die gesamte Gruppe einer Einrichtung sollen dokumentiert werden und Gegenstand der nächsten Fortbildungseinheit sein.